Auschwitz Parking

Gemeinsam mit dem Dokumentarfotografen Kirill Golovchenko hat Lena Reich Gedenkstätten in Deutschland und Polen besucht und in Bildern und Essays die Geschichte der Vernichtungslager in den Städten aufgespürt. Bergen, Oranienburg, Dachau, Oswiecim. Während die dark tourists die Ortschaften meist Hals über Kopf wieder verlassen, sind die beiden geblieben.

 


Oświęcim

Tafel 1
Im Postkartenständer vor dem Souvenir-Shop stecken Ansichtskarten von Hochöfen, Zyklon-B-Dosen oder dem Sonnenuntergang am Stacheldrahtzaun. Magnetbuttons mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ liegen in der Auslage, Perlonstrumpfhosen und Regencapes. Ein ocker-weißer Flachbau legt sich über den riesigen privaten Parkplatz „Auschwitz Parking“. Buchsbäume in diversen Variationen. Beim „ArtBurger“ werden Pizza, Pommes und Coke für 21 Zloty angeboten. Daneben hängt ein Banner: Wechselstube, Internet, Duschen. In einem roten Quadrat weist eine Videokamera auf Überwachung hin: „Monitoring BOSCH“. Ein lebensgroßes Foto von einem Mann in gelber Weste lädt zum Parken ein. Seine Umrisse sind in die Plastikscheiben eines gelben Schutzhäuschens geritzt, mit Sprechblase: „I love my Job.“ Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich das Museum. Angestellte in orangefarbenen Westen flitzen auf die Straße und rudern mit den Armen. Parkplätze gibt es hier viele. Weiter nördlich an der Stanisławy Leszczyńskiej, die vom Stammlager I nach Brzezinka führt, lockt ein grüner Superheld zum Bummeln in eine Lagerhalle: »SECOND HAND. LEVNE ODEVI. GEBRAUCHTE BEKLEIDUNG«

Tafel 2
Mit dem Ablegen seiner schwarzgrauen Tschapka beginnt Wladyslaw Malarek, seine Geschichte zu erzählen. Sie wird von dem Inhalt einer grünweißen Plastiktüte, die er stets mit sich führt, belegt: Dokumentenmappe, Fotoalbum, ein Buch mit Autogrammen von Henryk Mandelbaum, Schlomo Venezia, Polanski. Der Mann auf dem Foto, das vor ihm liegt, ist Rainer Höß. Gemeinsam mit seinem Sohn führt „Travel Spezialist“ Malarek ein Taxiunternehmen. Am 69. Tag der Befreiung durch die Rote Armee chauffierte er die israelische Delegation. Er wiederholt den Satz zwei, dreimal. Wohl auch, weil nur wenige nachvollziehen können, wie es ist, Nachfahre einer Überlebenden zu sein. Malareks polnische Mutter wurde als Kind von dem schwedischen Offizier Volker Bernadotte in BergenBelsen gerettet. Ende der 40er Jahre ist sie nach Oświęcim zurückgekehrt. Täglich trifft der 60-Jährige auf Besucher, die beim Gedanken, wenige hundert Meter neben den Ruinen der Gaskammern zu leben, die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Hier stehen Neubauvillen mit Trampolinen in den Vorgärten. Auf die Frage, ob er die Anwohner in ihrer Bautollheit verstehen könne, reagiert Malarek gar nicht erst.

Tafel 3
Es muss etwa vor zehn Jahren gewesen sein, dass die Stadtverwaltung ihren Kurs änderte und das Land westlich der Soła, die die achthundert Jahre alte Stadt Oświęcim zweiteilt, zum Verkauf anbot. Zu pietätlos schien es bis dahin wohl auch ausländischen Investoren, in unmittelbarer Nähe des Massengrabes zu bauen. Es gab Funktionsgebäude wie die in den 70er Jahren entstandene Wartehalle des Bahnhofs, deren mystische Atmosphäre durch viel Elektrizität an den Mosaikwänden gestützt wird. Unweit der Gleise steht seit 2009 das Einkaufszentrum „Galeria Niwa“, auf das viele der 43 000 Einwohner besonders stolz sind. Wer auf dem östlichen Flussufer lebt, der weiß, wie selten Touristen sich dahin verlaufen. Umso tapferer kämpft die Stadt für ein positives Image. In der Soła könne man wieder schwimmen, wirbt ein Hotel online. An den Häuserwänden werben Graffiti für das „Life Festival“. Eric Clapton wird da sein. Soundgarden. Eine wunderschöne Brünette pustet die Früchte einer Pusteblume in die Ferne – die Flugschirme werden zu Tauben.

Tafel 4
Hier und da entdeckt man in den Urban Spaces das Konterfei Oświęcims: Der Fluss und die Brücke mit einem Rapunzelturm aus dem 13. Jahrhundert. Oshpitzin hieß der kleine Ort zwischen Katowitz und Krakow auf Hebräisch. Bis 1939 war mehr als die Hälfte der damals 14.000 Bewohner jüdischer Abstammung. Die meisten Häuser des alten Viertels rund um die Berek-JoselewiczStraße wurden in den 1990er Jahren abgerissen. Gleich hinter der Piastowski-Brücke, die Westen und Osten miteinander verbindet, lässt eine Brachfläche die Größe der „Dampffabrik feiner Liqueure – Jakub Haberfeld“ von 1804 erahnen. Schnaps und Likör machten dessen Enkel im 20. Jahrhundert europaweit bekannt. Bis 1991 wurden hier noch Bier und Limo abgefüllt. Trotz aller Bemühungen der Ehefrau Felicia Haberfeld um den Erhalt, wurde das Gebäude zur Jahrtausendwende verkauft, der Abriss folgte. Mittlerweile prägen Banken und Wechselstuben, Kebab-Läden und einige wenige Bars das Stadtzentrum. Die Kaufhalle vor dem Rathaus musste weichen: der Marktplatz, der auf alten Fotografien das Weichbild der Stadt abgibt, wird im damaligen Zustand mit Brunnen und Bänken wieder aufgebaut. „Oświęcim braucht wieder einen öffentlichen Platz«, sagt die junge Dame in der Touristeninformation. „Bei den Bauarbeiten ist man auf eine Bunkeranlage gestoßen. Sie soll für die Touristen hergerichtet werden.“

Tafel 5
Östlich des alten Stadtkerns bedecken auf einem weiten Hügel Hochhäuser den Horizont. Acht, vielleicht zehn. Sie sind orange oder grün angestrichen, gedämmt. Zwischen ihnen stehen kleine Kioske, in denen Zigaretten verkauft werden. Gegenüber: „Unser Kino“, das 1958 als Kulturhaus des ortsansässigen Chemiebetriebes gebaut wurde, säumt eine Betonschlange die breite Straße. Ein Kindergarten, Radio Maryja. An ihrem Ende ragt weit die MaximilianKolbe-Kirche in die Höhe. Kind, Mann, Frau – Sonntagmorgen sind sie alle da. Auch im zwei Mal zwei Meter großen Vorraum stehen sie dicht an dicht. Zwei ältere und zwei jüngere Damen treten durch die schwere Eingangstür hinzu. Während die Gemeinde die Hostie zu sich nimmt, singt sie das „Gloria in excelsis Deo“. Die Stimmen wiederholen die Zeile, werden höher, fallen ab, um letztlich die tiefen Töne zu dehnen. Den Bau der Kirche hatte die sozialistische Regierung verhindert, bis 1978 Johannes Paul II. zum Pontifex gewählt wurde.

Tafel 6
Auf drei Türen der Maximilian-Kolbe-Kirche erzählen Dutzende Tafeln im Hochrelief die Geschichte des Holocaust. Da werden Frauen mit Todgeweihten im Unterleib dargestellt. Menschen, die mit ausgestrecktem Finger auf andere zeigen. Wieder andere werden abgeführt. Die Mittelportale zeigt einen großen Kreis aus Stacheldraht, den Männer mit Uniformen, Hunden und Gewehren von außen abschirmen. Während abgemagerte Figuren steife Körper über den Boden ziehen, schwebt innerhalb dieser Dornenkrone aus Stacheldraht eine Menschenmenge eng aneinandergedrückt zur oberen Bildhälfte empor. Sie wird in einer Christusfigur mit Rundbrille und Pantoffeln gebündelt. Maximilian Maria Kolbe.

Tafel 7
Barbara Luchs lächelt aus dem Rezeptionsfenster im Flur des Hotels Kaminiecz. Während Gebell aus dem nahegelegenen Tierheim zu hören ist, wacht auf ihrem Schoß schweigend ein Chihuahua. Die 67-jährige ist mit ihren Eltern in den 50er Jahren aus der polnischen Besatzungszone in der Westukraine nach Małopolskas gekommen. In Oświęcim gebe es ein Sprichwort, lächelt sie verlegen. „Wenn der letzte Überlebende gestorben ist, gibt es einen neuen Krieg“. Im Frühstücksraum läuft eine Fernseh-Talkshow mit Musikeinlage: Ein bis auf die Unterhose entblößter Mann steigt aus einem qualmenden Kleiderschrank. Er greift sich an die Gurgel, würgt sich zu Boden. Unter Gitarrenriffs zappelt er dort unten, bleibt dann reglos liegen. Tobender Applaus. Die Köchin wartet unterdessen auf die Bestellung. Der Blick wandert zum Fenster, das zum Garten zeigt: ein rumänische Handwerker mit schwarzem Schieber und dunklem Schnauzer. Er steht auf einer Leiter, die an das Garagendach gelehnt ist. Es droht, unter der Schneedecke einzustürzen.

Tafel 8
Die Erzählung ist täglich dieselbe. Die Besucher kommen, plaudern, verbringen mehr Zeit in den Gedenkstätten, als sie gedacht hätten. Sie fotografieren, lesen, gucken. Manche beobachten einander. Die meisten verstummen, nicht wenige weinen. Dann steigen sie erschöpft in ihre Autos und Busse. Es ist ein stumpfer Blick in ihren Augen. Als hätte man ihnen die Augenlider weg geschnitten, starren sie vor sich hin. Der Blick ist dem Lager verhaftet. Die wenigsten möchten jetzt noch die Umgebung kennenlernen: Abhängen in Oświęcim, Currywurst in Oranienburg, Heideromantik in Bergen. „Die Hauptsache ist doch, dass sie nicht aufhören, hier her zu kommen,“ so eine 79-jährige Überlebende.

Tafel 9
Hinter der Eishalle von Unia Oświęcim führt eine einspurige Straße durch ein Wäldchen Richtung Nordosten. Straßenschilder deuten zu beiden Seiten auf Wohnsiedlungen der „Chemie Oświęcim“. In dieses Chemiewerk wurden in den 50er Jahren Elektrotechniker und Ingenieure aus weiten Teilen Polens versetzt. Heute leben in den Wohnblöcken Angestellte der Gesellschaft Synthos S.A., laut Internetauftritt „der größte Hersteller von Emulsionskautschuken in Europa.“ An dem heruntergelassenen Schlagbaum ist kein Vorbeikommen. Die Wachen sind streng. Zwei Schornsteine und eine Dampfwolke sind auf dem Industriegelände zu sehen. Ruinen, vereiste Becken und umwucherte Säulen. Eine Halle mit riesiger Glasfront ist teilweise eingestürzt. Dazwischen Bahnschienen. Ein Fasan spaziert auf der Wiese vor einem Bunker. Heilschlamm und Mineralquellen haben in der Landschaft Małopolskas viele Kurorte entstehen lassen. In nördlicher Richtung treffen Soła, Kleine Weichsel und Przemska aufeinander; für die IG Farben das ausschlaggebende Kriterium, die Produktionsanlagen für den künstlichen Kautschuk hierhin zu verlegen.

Lena Reich, 2014

 

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